Die Selbstverwirklichung ist gemäss Maslowsche Bedürfnishierarchie das oberste Bedürfnis. Wir haben also alle anderen Bedürfnisse ausreichend gedeckt, wenn wir an der Spitze angekommen sind. Soviel zur Theorie. Um uns verwirklichen zu können müssen wir aber auch wissen, was für uns wirklich wichtig ist.
Auf der Suche nach mir
Auf dieser Suche nach dem wahren ICH, begegnen wir aber auch vielen blinden Flecken und wissen es noch nicht einmal. Das was wir von uns erfassen, ist niemals ein absolutes Bild über uns. Es steht immer im Kontext unserer Lebensphase, Entwicklung und Umfeld. Wir haben ein Selbstbild und fällen ein Urteil über gute und schlechte Seiten von dem was wir bei uns sehen.
Es ist jedoch gleichgültig, ob wir früh beginnen, die eine oder andere Macke zu bearbeiten. Vielleicht denken wir, wenn ich nur diese oder jene Ecke nicht hätte, dann… Ja, was ist dann? Sind wir dann liebenswert, erfolgreich oder glücklich? Wir können die nächsten zwanzig Jahre lang an unseren Macken feilen, doch sicher wird es immer noch Situationen geben, die eine Herausforderung darstellen. Es wird sich in einem neuen Kontext eine neue Macke zeigen. Das ist auch der Grund, weshalb die Selbstfindung niemals aufhört und achtsam sein soll. Es ist eine Reise, auf der wir unseren vielen Facetten erleben und kultivieren können. Das macht uns wandelbar.
Im optimalen Fall können wir uns an neuen Situationen anpassen. Manchmal geht es einfacher, manchmal weniger. Dabei sind die Grenzen spannend, weil dort zeichnet sich unsere Persönlichkeit ab. Jedoch nicht nur die Grenzen selber sind ein spannender Hinweis, sondern auch wie wir sie erkennen und der Umgang damit. Schrecken wir zurück, springen wir blind drüber? Überschreiten wir eine innere Grenze, dann bewegen wir uns außerhalb unserer Konfortzone, da findet Wachstum statt, da erleben wir neue Herausforderungen.
Wir können uns also suchen, finden, verlieren und neu erfinden. Das ist ein Teil unserer Lebensaufgabe. Es ist Wandel und Stagnation zu gleichen Teilen. Wer ständig auf der Suche ist, fühlt sich rastlos, ist nicht greifbar und kommt niemals an. Wer ständig still steht, sieht wie das Leben vorbei zieht. Beides kann je nach Situation Sinn machen. Schlussendlich kommen wir aber nicht umher, wir müssen uns immer wieder aufs Neue entscheiden. Wir können nicht das wahre ICH finden. Die grosse Frage dahinter ist „wer will ich heute sein?“. Wir müssen unser wahres ich kreieren.
Ich kreiere mich
In meinem Blogg Die Stimme in meinem Kopf habe ich über die inneren Stimmen geschrieben, die uns unterstützen oder uns hemmen können. Zu jeder Stimme gehört auch eine Persönlichkeit (der Spontane, der innere Kritiker, usw.), welche beeinflusst wird durch Erfahrungen, äussere Einflüsse und so weiter. Es ist komplex, wir sind komplex und die einfache Antwort auf das wahre ICH, die gibt es nicht. Unsere Handlungen werden, gemäss Gerhard Roth (1), primär von unbewussten Gehirnprozessen ausgelöst. Aber davon weiß das ICH nichts, es muss sich oft im Nachhinein eine plausible Erklärung für das eigene Verhalten zusammenreimen. Daraufhin wollen wir dann sagen ’so sind wir!‘? So halten wir höchstens fest, was wir eigentlich verändern wollen und durchleben es immer wieder.
Die Selbstverwirklichung auf Basis eines wahren ICHs geht also nicht. Natürlich hilft es, wenn wir unsere vergangenen Erfahrungen einbeziehen. Einbeziehen was uns leicht fällt, was uns schwer fällt und welche persönlichen Grenzen wir überwinden wollen. Welche Persönlichkeit in welchem Lebensabschnitt besonders hervortreten darf. Aber aus der Vergangenheit heraus zu Entscheiden wer wir sind, macht so keinen Sinn.
Viel wichtiger ist eine kraftvolle Vorstellung dazu zu entwickeln, wer wir sein werden, vielleicht auch den vielen verschiedenen Persönlichkeiten Raum zu geben. Es geht nicht darum perfekt zu sein, sondern zufrieden und selbstbestimmt. Dieses Bild emotional zu verinnerlichen führt dazu, dass wir entsprechende Entscheide fällen und uns danach verhalten. Wir formen damit unsere neuronalen Netze und bilden dadurch unsere eigenes ICH. Diese zukünftige ICH ist nicht gebunden an vergangene Erfahrungen und Limitationen.
Und wenn ein paar Jahre ins Land gegangen sind, bekommen wir vom Leben ein Geschenk: Viele verschiedene Persönlichkeiten mit denen wir unsere eigene Party feiern können. 😉
Quelle:
(1) Gerhard Roth, Hirnforscher und Philosoph, Literatur „Über den Menschen“ https://www.deutschlandfunkkultur.de/gerhard-roth-ueber-den-menschen-wir-sind-viele-ich-zustaende.950.de.html?dram:article_id=500892&utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
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